Gunda Gruber

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Arbeit am Flüchtigen

Zu den multimedialen Installationen von Gunda Gruber

Christa Benzer

Man kommt kaum umhin an King Kong zu denken. Es ist zwar nur ein riesiger Schat-ten, der sich quer über das großstädtisch verschachtelte Setting bewegt, aber doch: Auf dem skulptural anmutenden räumlichen Gebilde, das Gunda Gruber 2018 im Ka-binett des Salzburger Kunstvereins realisierte, drängte die alles überragende Projekti-on ihrer eigenen Umrisse den Vergleich mit dem vermeintlichen Zerstörer der moder-nistischen Raumordnung auf.
Neben ihrem stark vergrößerten „Selbst“ tauchen hie und da noch andere, kleinere Figuren auf, die die Kuben, Stelen, Regaltürme und Gitterstrukturen laufend zurecht-rücken und neu arrangieren: Die Künstlerin hat schließlich gleich mehrere Videos von sich bei der Arbeit gedreht und auf die Installation projiziert, die so noch immer im Werden begriffen schien.
Von der Malerei kommend nutzt Gunda Gruber die Prinzipien der Collage und konstru-iert mit unterschiedlichsten Medien „räumliche Situationen“, in denen es nie um etwas Fertiges, Abgeschlossenes oder gar Unverrückbares geht. Im Gegenteil: Was die Künst-lerin in ihrem multimedialen Oeuvre interessiert, ist das Vorführen und Erlebbarma-chen jener Brüche und Unsicherheiten, die unsere Wahrnehmung genauso wie die gesellschaftlichen Ordnungen – von der Natur über die Architektur bis hin zu den ei-genen vier Wänden – durchziehen.
In der Collageserie substruktur (2017) bringt sie etwa genau das gehörig ins Wanken, was man gemeinhin unter heimelig oder vertraut versteht. Ausgangsmaterial sind Ver-satzstücke von Einfamilienhäusern oder auch Wohnraumansichten, die sie mit unter-schiedlichsten Aufnahmen diverser Außenräume collagiert: Wie auf einer Baustelle türmen sich in einem modernen Loft Sandhaufen auf, hinter einem Wohnzimmervor-hang kommt ein Abbruchhaus zum Vorschein und wieder auf einem anderen Bild steht eine Nachttischlampe auf ihrem Tischchen, während der Rest des Zimmers schon ein riesiger Schutthaufen ist.

Realitätsstufen und Bildebenen

Nichts scheint mehr fix in dieser Welt, in der die Künstlerin Realitätsstufen und Bildebenen überlagert, die laufend zwischen lllusions-, Gegenstands- und abstraktem Raum changieren.

Die Serie der interieuers ist ähnlich aufgebaut, nur dass Gunda Gruber hier die Experimente mit den gewohnten räumlichen Parametern und Koordinaten ins Dreidimensionale überträgt: Sie benutzt dafür sämtliche künstlerische Medien und Formate wie Zeichnung, Skulptur, Video und nicht zuletzt die illusionistischen Eigenschaften der Malerei, um bühnenhafte Settings zu konstruieren, die surreal, alptraumhaft, narrativ und betont filmisch sind.

Schließlich wartet man nur darauf, dass jemand aus dem angedeuteten Raum an der Wand heraussteigt und sich die (reale) Anzugsjacke davor überstreift. Oder dass sich jemand in das Bett hineinlegt, hinter dem sich eine Wand aus Ziegelsteinen aufbäumt.

Die emotional-psychologischen Aspekte ihrer „Innenarchitekturen“ interessieren Gunda Gruber genauso wie das Irritieren der räumlichen Perspektive oder das Nachdenken über das Medium Malerei: So hebt sich auf einer der interieur-Ansichten ein Tafelbild scheinbar von der Wand ab, auf dem ein schwarzes Quadrat mit einem weißem Rahmen zu sehen ist. Die Abstraktion wirft Fragen nach räumlicher Fläche und Tiefe, während sich an der Wand dahinter durch ein paar gestische Schlieren noch eine weitere räumliche Dimension auftut.

Die interieurs, die vornehmlich im Atelier als raumhafte Skizzen entstehen – um die Gedanken zu sortieren (Gruber) – basieren auf Versatzstücken von (Innen-)Architekturen, auf gemalten Tapetenmustern, rechteckigen Winkeln, Gitterstrukturen oder auch zurechtgeschnittenen Spanholzplatten, neben denen ein paar braune Stiefletten stehen.

Dass die Künstlerin sich selbst wiederholt in eine Beziehung zu den von ihr geschaffenen ästhetischen Erfahrungsräumen setzt, taucht als eine wichtige Konstante in ihrer Arbeit auf.  Ob als übergroßer Schatten oder als pars pro toto in Form ihrer Schuhe – klar ist, über Wahrnehmung, Raum, Architektur, Kunst und Gesellschaft wird von Gunda Gruber nicht im luftleeren Raum nachgedacht: Vielmehr ist da immer auch der menschliche Körper, den sie stets als konkreten Bezugspunkt zu ihren Konstruktionen und Settings einsetzt.

Mit diesen performativen Eingriffen in ihre „Bilder“ betont die Künstlerin das Prozesshafte ihrer Arbeit und macht deutlich, dass man immer nur Bruchstücke von der Welt, im Normalfall also nie das große Ganze auf einmal sieht: Die Installation bruchstück nr. 1 führte das in der Galerie 5020 (2011) insofern sehr schön vor Augen, als dass sie dort mehrere Gemälde hintereinander an die Wand gelehnt hat – und zwar so, dass Teile der Collagen und Gemälde gar nicht zu sehen waren, während ein paar Beine (ein ausgeschnittenes Foto) den Eindruck erweckten, als hätte es sich jemand dazwischen gemütlich gemacht.

Bild-Verunsicherung und Raumangst

Gunda Gruber spielt mit dem Sichtbaren bzw. Verborgenen und will den Blick der BetrachterInnen verunsichern: Das zeigt sich auch in den Videos grenzen und gehen, die Teil einer Installation waren: Einmal sind es Gitterzäune, die endlos aneinandergereiht einen Blick dahinter verwehren, ein anderes Mal löst sich der Boden unter der Kamerafrau langsam auf.

In beiden Fällen wird so den BetrachterInnen jeder Anhaltspunkt entzogen, der für die Versicherung der Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung unbedingt nötig ist.

In ihre Untersuchungen dieser komplexen Prozesse hat die Künstlerin neben Videos auch mithilfe sprachlicher Versatzstücke zu eruieren versucht, was von visuellen Eindrücken eigentlich übrig bleibt: nachbild hat sie demensprechend eine Installation in der Galerie Eboran (2012) genannt, die visuelle Einzelheiten nach einem Stadtrundgang zu erinnern versucht: die schriftlichen Angebote, die sie in Form von Wortbruchstücken wie „schön“ oder „sofort Bargeld“ in die Installation integrierte, aber auch Gebäudeeindrücke (ein Gerüst) oder Passant(en); letzteres ist auch der Titel eines Videos, in dem jemand vor einer Wolkenkratzer-Kulisse vermeintlich geht, jedoch in geloopter Form auf der Stelle tritt.

In der Arbeit der Künstlerin entpuppt sich (nicht nur) der großstädtische Raum oft als bedrohlich: So faltete sich etwa in ihrer Ausstellung im Kunstraum pro arte in Hallein (2015) eine Backsteinwand Labyrinth-artig auf, während der angedeutete Plan einer U-Bahn (oder von Bewegungsprofilen?) wie ein undurchschaubares Dickicht erschien.

In seinem Buch Warped Space. Art, Architecture, and Anxiety in Modern Culture[1], schreibt der Architekturtheoretiker Anthony Vidler über die Ängste und Phobien, die mit dem Leben in Großstädten, mit räumlicher Entfremdung und Ortlosigkeit zusammenhängen.

In der Arbeit von Gunda Gruber wird den BetrachterInnen diese „Raumangst“, dieses „Lost in Space“-Sein in verdichteter Form vorgeführt: sie nutzt dafür Techniken der Überlagerung, Fragmentierung und Zeitlichkeit und baut Erfahrungsräume, in denen das gewohnte Verhältnis zwischen Innen und Außen, Oben und Unten oder Hell und Dunkel außer Kraft gesetzt ist.  Ein sehr schönes und poetisches Beispiel dafür ist die Installation bruchstück nr. 3, die die Künstlerin 2012 im Salzburger Kunstverein realisierte. Eine graue Fläche deutet an der Wand etwas Räumliches an, es könnte aber auch nur ein Wasserfleck sein. Dieser hat bereits die leere, weiße Leinwand „kontaminiert“, die davor an der Wand lehnt und von einer angedeuteten Neonröhre „beleuchtet“ wird. Über dieses ohnehin schon vielschichtige Setting legt die Künstlerin noch eine weitere Bildebene darüber: Eine Abwärtsfahrt in einem Lift, die nicht von oben nach unten, sondern von rechts nach links fahrend auf die Ecke projiziert wird.

Waren es im Kunstverein minimalste Mittel und vage Andeutungen, die einen Blick hinter die Oberfläche ermöglichten, führte die Installation beyond surface (2012) auch buchstäblich in den Keller hinunter. Oder genauer: In eines der Untergeschosse der Wiener Galerie Peithner-Lichtenfels, wo Gunda Gruber in Anlehnung Gaston Bachelards 1957 verfasste Poetik des Raumes das „dunkle Wesen des Hauses“ sieht. Als Rahmen für die Installation dient der Künstlerin eine Regalkonstruktion, die sie wie ein Archiv zur Aufbewahrung großformatiger Bilder benutzt: die Fotografien, Gemälde und Collagen stehen hintereinander und lassen doch Einblicke auf die dargestellten, räumlichen Übergänge wie Treppen, Jalousien oder auch einen wehenden Vorhang zu. Irgendwo stehen auch hier Stöckelschuhe herum, die Gunda Gruber in diesen (traumartigen) Kreislauf von Bildern eingebaut hat: So spiegelt sich etwa die reale Regalkonstruktion auf einem der Bilder wider, ein anderes wird zur Kulisse für ein Video und nicht zuletzt betont die Künstlerin auch hier ihren multimedialen Ansatz, indem sie auf filmisch anmutende Suspense- und Hell/Dunkel-Effekte setzt.

Zwischen Atelier- und Ausstellungssituation

Dass so manches vor den Blicken der BetrachterInnen verborgen bleibt, ist dem Thema Unterbewusstsein geschuldet, aber auch den alternativen Präsentationssystemen, die Gunda Gruber entwickelt hat: Anstelle einer klassischen Hängung hat sie auch für die Galerie 5020 eine Holzkonstruktion gebaut, in der erst die Summe der Teile die Geschichte ergibt: Ausgangspunkt der Arbeit systemblüten (2015) war zum einen die Auseinandersetzung mit dem Garten eines Einfamilienhauses und dann sollte die Präsentation dem kuratorischen Konzept (Hildegard Fraueneder) folgend aus zwei Teilen bestehen. Im ersten Teil war es ein Lagersystem, eine Holzkonstruktion, in der die Künstlerin Bilder und Collagen von organischen Formen wie Gräsern, Blütenstempeln oder Verästelungen ordnet und archiviert.

Im zweiten Teil wurden diese systematische Ordnung aufgefächert und auf eine Weise zerlegt, dass der typisch englische Garten, dem Titel entsprechend eigenwillige „Blüten“ – die Leinwände haben die Keilrahmen verlassen und sich wie Blüten aufgefächert – trieb.

In einer damit korrespondieren Videoarbeit präsentierte sich die Künstlerin selbst als systemerhalter #2: Sie arrangiert darin eine Konstruktion aus schwarzen Stelen und zeigt sich als jemand der auch selbst mittendrinnen in diesen konstruierten Ordnungen lebt.

Aus Ordnungssystemen auszubrechen, sie erkennbar zu machen, ist allerdings eine wichtige Motivation ihrer Arbeit. Gunda Gruber ist zwar nicht vordergründig politisch, allerdings sind subtile Bezüge zu gesellschaftlichen Entwicklungen für fast alle ihre Arbeiten grundlegend.

In einer ganz neuen Serie hat sie etwa die modernen Produktionsprozesse inklusive des Funktionalisierungs- und Optimierungszwangs zum Thema gemacht. Die immer gleichen Handgriffe, wie man sie in ihrem Video geometriebe sieht, sind nur ein Teil davon: Die Aufnahmen zeigen Tische, auf denen Hände – wie am Fließband – verschiedene geometrische Formen legen – mit Stäbchen, Schachteln, Kugeln, aber auch mit Gitterstrukturen, die in der Ausstellung Prototypen in der Stadtgalerie Lehen (2019) auch als Objekte zu sehen waren.

Auf Arbeitstischen, mit denen die Künstlerin einmal mehr die Durchlässigkeit zwischen Atelier- und Ausstellungssituation betont, hat sie dort aus Objektfragmenten, Gitterstrukturen, Modellen, Musterbögen und organischen Formen eine sehr lebendig wirkende Agglomeration im Spannungsfeld von Natur/Technik, Chaos/Ordnung, Konstruktion/Dekonstruktion gebaut.

Dass sie dabei allein durch die „Masse“ der präsentierten Objekte die Idee des Prototyps gewitzt untergrub, entspricht ihrem künstlerischen Ansatz, der slapstickhaften Humor mit Lösungen für Gestaltfragen und subtiler Kritik am System verknüpft.

Der Soziologe Zygmunt Baumann hat zur Jahrtausendwende den Begriff „Flüchtige Moderne“[2] geprägt. Er beschreibt darin den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft als flüchtig, weil alte Gewissheiten, soziale Strukturen und auch Verhaltensmuster verfallen.

Gunda Gruber verhandelt diese Verunsicherung und führt den BetrachterIinnen die Krise diverser Systeme, der Arbeit, der Großstadt, der Wahrnehmung und nicht zuletzt die der Kunst vor Augen. Ihre Arbeit erschüttert so manche Gewissheit, aber nicht ohne das Krisenhafte auch als Chance für alternative Denkmöglichkeiten zu begreifen.


[1] Anthony Vidler: Warped Space. Art, Architecture, and Anxiety in Modern Culture, MIT Press, 2000
[2] Zygmunt Bauman: Flüchtige Moderne, edition suhrkamp, 2003